...»ALS ICH AUF MEINER BLEICHE« II.Teil aus einem Probengespräch über das Singspiel »Die Jagd« von J.A. Hiller anlässlich der Produktion an der OPER LEIPZIG 1993...


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... Fortsetzung:

Sieh mal - Ware sind wir nun ein für allemal, ob so oder so...

Oskar Maria Graf








. . .
Frage
: Seit Freud, spätestens seit Woody Allen wissen wir Bescheid über die tief erotische Triebstruktur des Lachens. Das Singspiel lebt natürlich auch von diesem Phänomen.

Brühl: Richtig! Mich hat immer wieder verblüfft, wie in der komödiantischen Intrige, in den dort gezeigten Machtverhältnissen, die Frage der Sexualität und der Partnerbeziehungen ausgesprochen wird. Das wird mit Härte und Deutlichkeit in die Stückstruktur hineingenommen. Andererseits haben wir uns nicht geschämt, mit den Augen der Erwachsenen ein Märchen zu erschauen: den kleinbürgerlichen Traum vom guten Herrscher, der kommt und dem gesunden, rechtschaffenen Volk auf dem Lande zu seinem Recht verhilft. Aber man darf nicht vergessen, daß gerade in dieser Idyllisierung des einfachen Lebens im Prinzip schon Ansätze zu einem Denken aufkeimen, das später zu Tendenzen führen konnte, wie sie in dem populistischen Begriff vom »gesunden Volksempfinden« zum Ausdruck kommen, mit dem sich unsere kriegerische Welt noch immer abschleppt. Das muß man schon mitdenken. Darum versuche ich, den Alltag in seiner Absurdität darzustellen; um mit Adorno zu sprechen: daß die Tragik des Alltags nur in der Absurdität erträglich scheint.

Frage: Zurück zur Erotik. Zwar ist das »gesunde deutsche Volksempfinden« schon hier, in diesen Figuren, spürbar - die Stände treiben es untereinander, aber nicht mit (Art)Fremden - aber sie treiben es doch, immerhin und ziemlich deftig und kaum verschämt. Wo die Seria noch von Blumen und Felsen redet, wird in der Buffa, im Singspiel an den Hintern gegriffen. Und oft sind es gerade Frauen, die sagen, was sie wollen. Wie ist das hier, zum Beispiel bei der Rösie?

Täglich wächst die Zahl derer, die mich mal können.

Hans-Joachim Kulenkampff


Brühl: Abgesehen davon, daß Rösie im Original Röschen heißt, kann man schon mit einigem Erstaunen feststellen, daß Rösie doch einen Typ weiblichen Bauernmädchens verkörpert, der selbstbewußt und selbstsicher im Umgang mit dem herrschenden Geschlecht ist. Gleich das erste Lied kennzeichnet sie als in dieser Richtung ganz griffsicheres Weib, wenn sie singt: »Der Töffel ist ein Mann für mich«. Wir mußten dort textlich auch gar nichts dazu formulieren. Wir sind ganz in der Konzeption Weisses geblieben, wenn Rösie deutlich klarstellt, auch ihrer Freundin Hanne gegenüber, wie sie sich Toffel gefügig machen und ihn - auch gegen den Willen ihrer Eltern! - heiraten wird. Weil sie weiß, daß sie in der Ehe die Untergebene ist, nimmt sie sich eben einen, der nicht zu klug und nicht zu brutal ist, der schmuck aussieht und obendrein gut im Bett ist. Das wird dann verklärt! Ganz wie heute auch...

(...)

Frage: Was Hiller/Weisse angeben, die enge zwanghafte Moral der JAGD-Gesellschaft, ist, wie man wohl ohne Übertreibung feststellen kann, gesellschaftliche Wirklichkeit geblieben.

Herr Spontini eilte durch.

Johann Wolfgang von Goethe


Brühl: Und zwar totale! Alternativlos, scheint es. - Das kleinbrügerliche Moralisieren, das diesen Singspielen so enormen Erfolg eintrug, markiert ja genau jene Entwicklungsphase in unserer Kulturgeschichte, da, grob angerissen, die nach den Hexenverfolgungen übriggebliebene, angstdressierte Weiblichkeit die sittlichen Maximen ihrer Herren so weit geschluckt hatte, daß sie gleichsam selbst zu deren Träger und Signalen wurde. Die Identifizierung von Liebe und sexueller Treue, quasi als praktischer Besitz, ist das Thema des Stückes. Unaufhörlich kippen zärtliche Momente mit herrlicher Musik um in eine fast irre Fröhlichkeit, in der sich die Figuren gegenseitig versichern, einander gewiß zu gehören: »Christel ist dein, Hanne ist mein, Rösie ist sein, Toffel ist mein...«. Daran hat sich im Grunde in unserem Alltagsdenken nicht viel geändert. Die singenden und tanzenden Gartenzwerge, gewissermaßen! Das ist da schon in seinen verharmlosenden Ansätzen drin, das Spießer-Idyll, die Operette der Vorkriegszeit, die UFA-Revue. Und daß man diese Art von »Optimismus« als etwas »Vorbildliches«, gar »Humanistisches« betrachtet, ist höchst gefährlich. Da kann ich nicht mehr lachen!

Absolut.

Ruth Berghaus


Frage: Es gibt in diesem Stück für die Oper des 18. Jahrhunderts, wie für das Singspiel, typische Themenkreise oder Motive, zum Beispiel das Jagdmotiv, das ja auch in der Opera seria immer wieder erscheint, da die Jagd ein höfisches Ritual ist. Dann gibt es typische dramatische Motive, die eher dem Singspiel entsprechen: der Gegensatz von Stadt und Land, der Wilddieb, der gejagt wird, die Entführung. Wie sind Sie damit auf der Bühne umgegangen, zitierend, parodisierend, was bedeuten Sie Ihnen?

Indessen ging ich von hier mit Herrn Hiller zu Hause, dessen außerordentlich gutes Herz und Kunstgelehrsamkeil mir weit angenehmere Unterhaltungen verschaffte als das Theater.

Charles Burney


Brühl: Das Jagdmotiv ist natürlich ein Zeichen für Jagen im allgemeinen Sinne, es werden nicht nur Tiere, sondern auch Mädchen gejagt, und zwar von höfischen Männern. Es werden Wilddiebe gejagt und es wird scharf geschossen. In der damaligen Zeit waren die Strafen für Wilddiebe unverhältnismäßig grausam und schreckenerregend, wenn diese Wilddiebe nicht Adelige waren. Genau mit diesem Umstand will das Singspiel DIE JAGD auf moralisierende Weise Gericht halten. Sicherlich liegt darin auch ein Grund für die ungeheure und gar nicht mehr nachvollziehbare Popularität und den Riesenerfolg, den dieses Stück fast hundert Jahre lang im ganzen deutschsprachigen Raum hatte. (Übrigens war es nicht ohne politische Brisanz: ca. 20 Jahre nach der Uraufführung wurde hier in Sachsen ein Aufstand der Bauern gegen das Jagdunwesen des Adels blutig niedergeschlagen!) Mich aber, als Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts, berührt in den ernsten und komischen Stücken des 18. Jahrhunderts, abgesehen von solchen ganz konkreten Motiven und sozialen Bezügen, die Utopie, die in ihnen aufleuchtet. Hier werden Träume von wahrer, großer, inniger Liebe geträumt, siegt die Liebe über die Widrigkeit des Lebens, zumindest in der Musik.

Kann denn Liebe Sünde sein?

Zarah Leander


Frage: Diesen Traum von einer besseren Welt gibt es auch in ihren Filmen, einen Augenblick, in dem die Handlung stillsteht, wo gesellschaftliche Zwänge hierarchischer und sexueller Art aufgehoben werden und sich plötzlich Sehnsüchte erfüllen, die im Realen unlebbar scheinen. Wo ist dieser Punkt in ihrer Inszenierung der JAGD?

An meiner Basis wird sächsisch gesprochen.

Karl Mickel


Brühl: Abgesehen davon, daß ich das Stück zur Zeit noch nicht fertig geprobt habe, ist hier für mich das Element des Traums, des Absurden der Weg, die Figuren auch mit ihren zärtlichen Wünschen zu zeigen. Im Grotesken und Unbewußten verlassen die Figuren ihre geschichtliche Eingeengtheit auf eine Weise, die sie uns plötzlich verwandt erscheinen lassen. Eine Art von verblüffender Nähe, die so tief liegt und so sehr an den Urgrund des Seins rührt, daß sich eine Gemeinsamkeit herstellt, in der ich das Wesen von liebevoller Utopie insgesamt erblicke. Menschen wollen ja immer eine Gemeinsamkeit herstellen. Und zwar über die gebotene Hilfszweisamkeit und Blutsverwandschaft hinaus... Und auch der künstlerische Vorgang, der Arbeitsprozeß und die Aufführung, wo Sänger, Schauspieler, Musiker etwas erschaffen, auf kreative, hocherotische Weise, läßt, wenn sich etwas davon auf das Publikum überträgt, jene Utopie entstehen.

Über allen Gipfeln ist Ruh.

Thomas Bernhard


Frage: Demgegenüber gibt es den Tenor aus dem ehemaligen Jugoslawien, der, angesichts des Grauens in seinem Land, nicht mehr aufzutreten beschloß, weil er fand, daß seine Kunst in einer solchen Welt nichts mehr verloren hätte.

Brühl: Über diese Nachricht habe ich lange nachgedacht, doch ich meine, daß man den Kriegs- und Chaoskräften keinen Platz gönnen, nicht vor ihnen zurückweichen, im Getöse des Kosmos seine Stimme nicht durch sie verdrängen lassen darf. Dieser Sänger will ein Zeichen setzen, daß man nicht einfach so weitermachen kann, als wäre nichts geschehen. Das halte ich für absolut richtig! Andererseits denke ich, daß man sich nichts von der eigenen menschlichen Substanz abschlagen lassen soll und daß man darauf beharren muß, den eigenen Reichtum in seiner ganzen Fülle zu behaupten und in die Barbarei einer solchen Welt auch Gegenwelten mit einer anderen Musik zu setzen. Auch mit einer quasi "naiven". Darin liegt vielleicht die Kraft auch eines solch auf den ersten Blick harmlosen, mitunter banalen Singspiels wie DIE JAGD.



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Foto A. Birkigt, Leipzig / 1993: O. Brühl

Aufführungs-KRITIKEN



Aus:

Leipziger Opernblätter
Spielzeit 1992/93 * Heft 15

Herausgegeben von der Dramaturgie
Chefdramaturg Dr. habil. Fritz Hennenberg

Johann Adam Hiller
DIE JAGD
Festspielzeit 300 Jahre Leipziger Oper

OPER LEIPZIG
Intendant Professor Udo Zimmermann



olaf brühl