Fotos:
Andreas Birkigt
© 1993

Johann Adam Hiller / 1772:

Die Jagd oder »Halt´s Maul!«

Eine comische Oper in drey Acten
Leipziger Textfassung
nach dem Original von
Christian Felix Weisse


Paravant von Erwin Bode

PROGRAMM-Interview

Auswahl Kritiken:
SALZBURGER NACHRICHTEN: G. Krieger
SFB 3: Dieter David Scholz
OPERNWELT & NEUE ZEIT: Eckart Schwinger
FRANKFURTER RUNDSCHAU & NDR 3: Georg Friedrich Kühn
ORPHEUS: Bernd Hoppe
DER TAGESSPIEGEL: Roman Hinke
WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE: Michael Stenger
NEUES DEUTSCHLAND
FREIE PRESSE (Leipzig)

Fotos:
Andreas Birkigt © 1993

SALZBURGER NACHRICHTEN: 29.Mai 1993
IM DSCHUNGEL DER GEFÜHLE
Von G. Krieger

1770 in Weimar uraufgeführt, war Johann Adam Hillers Singspiel "Die Jagd" schnell ein Volltreffer; mit einem kuriosen Gemisch aus Strophenliedern, Seria-Arien und gesprochenen Texten schrieb der langjährige Gewandhaus-Kapellmeister eines der erfolgreichsten Bühnenwerke seiner Zeit. Im Jahre 1771 bereits wurde es in Berlin vierzig Mal en suite gespielt, und Albert Lortzing ließ es sich nicht nehmen, in seiner Bearbeitung des Singspiels selbst eine Hauptrolle zu geben.
Eine Bearbeitung ist auch die neue Leipziger Produktion. Wenn Regisseur Olaf Brühl Rösi (Romelia Lichtenstein), die Tochter des Dorfrichters (Hans Dirk Mundt) und Freundin des armen Toffel (Andreas Scholz), plötzlich statt eines einfachen Liedes die Arie vom Höllenhund schmettern läßt; dann wandelt Brühl auf den Spuren von Hiller. Dessen vielgerühmte Spezialität war ja gerade ein "sozio-musikalischer" Ansatz, alsO Die Personen der verschiedenen Schichten singen im gemeinsamen Tonfall.
Daß die Leipziger "Jagd" nicht nur eine brave Ausgrabung, sondern höchst lebendiges musikalisches Theater wurde, liegt an der frischen Inszenierung.Brühl setzt auf optische Verfremdungseffekte und auf überraschende Wechsel in den Bewegungen. Weniger die schlichte Handlung interessiert ihn (der König verirrt sich während der Jagd im Wald, wird vom einfachen Volk unerkannt aufgenommen; und bewirtet, ermöglicht zum Dank dafür den Liebespaaren durch Geldgeschenke die Heirat), vielmehr geht es Brühl um die mehr oder weniger versteckten erotischen Elemente des Stücks. Da jagen: nicht nur große Tiere die kleinen, da hat es auch die Mutter (Ruth Asmus) auf den zukünftigen Schwiegersohn abgesehen, und selbst die Schwester streichelt eindeutig zweideutig den Bruder (Martin Petzold).
Wie schon der kauzige Musikreisende Burney im Jahr 1772 nach einer Aufführung eines Hiller-Singspiels in Leipzig, weiß auch der heutige Besucher wenig Erfreuliches über die Qualität der musikalischen Ausführung zu berichten. Gesungen wird durchweg passabel. Aber "Les Partisans de la musique galante", ein neues Ensemble auf alten Instrumenten unter Julien Salemkour, machen den Klang eher unsicher.

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SFB 3 /KLASSIK ZUM FRÜSTÜCK: 24.Mai 1993
Live-FRÜHKRITIK
Von Dieter David Scholz

Rudolph GANZ:
Ich begrüße am Telefon Dieter David Scholz. Guten Morgen.
SCHOLZ:
Guten Morgen, Herr Ganz.
GANZ:
Johann Adam Hiller, einem großen Publikum vielleicht paradoxerweise am bekanntesten durch die Orchestervariationen, die Max Reger auf ein Thema von ihm komponiert hat. Von Hiller ist im Leipziger Keller-Theater des Opernhauses ein Singspiel, Komische Oper in drei Akten mit dem Titel: "Die Jagd" aufgeführt worden. Um was für eine Jagd geht es denn hier?
SCHOLZ:
Es sind natürlich die Tiere des Waldes, die da gejagt werden, aber eben auch Bauernmädchen. Bauernmädchen verschwinden da plötzlich, Schuld daran ist natürlich nur der sittenlose Adel, dem das tugendhafte Landvolk gegenübergestellt wird. Die verschwundene Hanne wird am Ende gefunden, der freche Graf Schmetterling, der sie auf einer Jagd erbeutet hat, wird vom guten König bestraft. Zwei bäuerliche Liebespaare werden vereint, Ende gut - alles gut, könnte man sagen. "Die Jagd" ist eines der zahlreichen und zu ihrer Zeit erfolgreichen Singspiele, in denen der Leipziger Komponist und Musiktheoretiker Johann Adam Hiller das bürgerliche Publikum des 18. Jahrhunderts mit plakativ moralisierendem Musiktheater erbaute. Das Landleben wird darin der Zeit entsprechend idyllisiert, und in Schwarz-Weiß-Malerei werden die Standesunterschiede gegeneinander ausgespielt. Man hat damit an der Leipziger Oper eines jener typischen Singspiele der vorklassischen, man darf vielleicht sagen der vormozartischen Zeit ausgegraben, um bewußt einem der Leipziger Komponisten, und vor Lortzing war Hiller zweifellos der bedeutendste Leipziger Opernkomponist, seine Referenz zu erweisen. Ob diese Ausgrabung zu einer folgenreichen Wiederbelebung des Hillerischen Singspiels auf dem Theater führen wird, das darf bezweifelt werden, aber aus Anlaß der 300-Jahr-Feier der Leipziger Oper ist diese Ausgrabung eine angemessene und verdienstvolle Produktion der Leipziger Oper.
GANZ:
Also, ob sie sich gelohnt hat, diese Ausgrabung, das haben Sie mir praktisch schon beantwortet. Ist es wenigstens sehenswert, was da auf die Bühne kommt?
SCHOLZ:
Allerdings. Denn wie man hier Altvater Hiller und seinem harmlos biederen Singspiel zu Leibe gerückt ist, das unterhält, das amüsiert, macht Laune. Der Regisseur Olaf Brühl hat gemeinsam mit dem Dirigenten Julien Sadi Salemkour eine eigene Leipziger Fassung erarbeitet, in der man das Stück gekürzt hat. Der Text von Christian Felix Weise, der in seiner antiquierten Blumigkeit heute wohl kaum mehr erträglich ist, wurde modernisiert, Nebenfiguren sind weggestrichen worden, die Dramaturgie ist gründlich geändert worden. Es ist also eine neue Version des alten Stücks. Lortzing hat ja bereits eine Bearbeitung vorgenommen, auch in der Semper-Oper wurde 1915 eine neue Spielfassung herausgebracht, im Original ist das Hillerische Lustspiel wohl kaum mehr aufzuführen heutzutage. Diese neue Leipziger Variante allerdings, die das Kleinbürgerliche moralisiert, die versteckte Erotik und die Fragwürdigkeit der sogenannten Rechtschaffenheit des einfachen Volkes auf der Bühne thematisiert und der Lächerlichkeit preisgibt, diese Fassung hat ihre eigene Qualität. In diesen zum Teil doch recht derben Dialogen, die mit handfestem Volkston und erotischen Anzüglichkeiten nicht sparen, die mit Knittelversen spielen und sich selbst parodieren, wird das aufgeführte Singspiel und seine ganze Gattung kritisch kommentiert, und wie der Regisseur dieses Singspiel inszeniert, als volkstümliche Klamotte nämlich, mit Anleihen beim Kasperle Theater, wie er die Personen sozusagen als decouvrierte Gartenzwerge vorführt mit personifizierten Tieren in einer Waldlandschaft wie aus dem Malbuch, das ist ausgesprochen witzig. Die Bauern erscheinen als personifizierte, gepuderte deutsche Michels und die Hauptfigur Toffel wird wie ein im Volkston singender Rokoko-Heino vorgestellt. Die Aufführung hat wirklich bösartig satirische Untertöne, sie parodiert Ohnsorg-Theater und sie spielt mit Formen des Operntheaters nicht nur, wenn dann auch schließlich eine Arie aus Telemanns Opera Seria "Damon" parodiert wird. Erwin Heribert Bode hat für die Aufführung die kleine Kellerbühne der Leipziger Oper in einen Bilderbuchwald mit ausgeschnittenen Bäumen verwandelt. Die Zuschauer sitzen fast mittendrin. Hinter den Zuschauern sitzt unsichtbar, aber gut hörbar das Orchester. Diese Aufführung ist sehr kurzweilig, musikalisch respektabel, sie hat Esprit, sie strotzt voller Einfälle, und es gibt viel zu lachen in diesen zwei Stunden.
GANZ:
Vielen Dank, Dieter David Scholz. Johann Adam Hiller "Die Jagd" im Kellertheater Leipzig.

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NEUE ZEIT: 26.Mai 1993 & OPERNWELT / Juli 1993
SURREALISTISCHES KASPERLETHEATER
Von Eckhardt Schwinger

Bei einem Opernquiz würden vermutlich selbst Kenner bei der Frage, wer das Lustspiel "Die Jagd" komponiert habe, alt aussehen. Da würde bei Berlinern auch der Hinweis kaum weiterhelfen, daß die von Johann Friedrich Reichardt dereinst als Musterbeispiel eines komischen deutschen Singspiels gepriesene "Jagd" an der Spree im Jahre 1771 gleich vierzigmal hintereinander gespielt und daß dieses Werklein von Albert Lortzing 1850 bei seiner letzten Berlin-Verpflichtung in einer eigenen Bearbeitung einstudiert wurde und er dabei selbst eine der komischen Figuren auf die Bretter stellte. Leipzigern würde es dagegen schon einiges sagen, daß der Komponist Thomaskantor und zudem der erste Gewandhauskapellmeister war! Ja, es ist m der Tat jener Johann Adam Hiller, der von 1728 bis 1804 lebte und der mit einer besonders pfiffigen Melodie aus seinem Singspiel "Der Erntekranz" Max Reger das Thema für die famosen Hiller-Variationen lieferte.
Die Leipziger Oper hatte gute Gründe, sich im Rahmen der wahrlich festlichen Festspielzeit anläßlich des dreihundertjährigen Bestehens auf diesen bedeutsamen Singspielkomponisten zu besinnen, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts m der Messestadt mit seinen kleinen komischen Opern tonangebend war. Es war sicherlich keine sensationelle Entdeckung, die den Premierengästen im Kellertheater der Leipziger Oper mit Hillers "Jagd" präsentiert wurde, aber eine ausgesprochen schöne Überraschung und köstliche Aufführung war es rundum! So frech, vergnüglich und poesievoll zugleich ist in letzter Zeit selten einmal eine alte Kammeroper über die Bühnen gegangen, allerdings in einer ganz und gar eigenen, gehörig aufgemotzten, deftigen und mit allerlei anzüglichen Späßchen und Blödeleien nur so über die Stränge schlagenden Bearbeitung Pur, also unbearbeitet wäre vor allem der Text von Christian Felix Weisse (Lessings Jugendfreund und Hillers Librettist) nicht mehr zu genießen - mit den ausgewalzten, verstaubten Dialogen und den zwar ein bißchen aufbegehrenden, aber biederen Gestalten vom Lande, die sich in ihrer Treuherzigkeit selbst auf die Schulter schlagen, mit den begehrenswerten ländlichen Bräuten, auf die die degenerierten Adelstypen aus der Stadt ungeniert Jagd machen. Musikalisch ist diese komische Oper von dem alten Hiller erstaunlich mobil und abwechslungsreich gehalten, da blitzt schon mal ein mozartischer Gedanke auf, prasseln bravourös die Jagdhörner, gewittert es sogar schon in dem kleinen Orchester, gibt es hübsch harmlose Strophenliedchen und Miniarien, Anklänge an die französische und italienische Lustspieloper. Und der sich am Ende selbstverständlich generös erweisende König darf ganz standesgemäß nach Art der Opera seria nicht nur musikalisch aus dem Rahmen fallen.

Zauberwald für große und kleine Kinder

Das alles weiß am Dirigentenpult Julien Sadi Salemkour mit dem erfrischend knackigen, auf alten Instrumenten musizierenden Orchester namens "Les Partisans De La Musique Galante" gehörig auszukosten, erheiternd drastisch und temporeich herüberzubringen. Den Vogel schießen freilich, was heute in der Oper keine Seltenheit ist, die von A bis Z ironisch aufgedrehte, alle spießbürgerliche Augenverdreherei und Ehrsamkeit gnadenlos entlarvende, sich förmlich komödiantisch überschlagende Inszenierung von Olaf Sigurd Brühl ab, sowie das witzig hingestrichelte Bühnenbild Erwin Heribert Bodes - ein Zauberwald für große und kleine Kinder, in dem das putzige Tierballett ergötzt, das bissig spöttelnde, surrealistische Kasperletheater mit den handfesten Orffschen Flegeleien, den parodistischen Überzeichnungen, den amourosen Eskapaden und fast erschreckend wirklichkeitsnahen Absurditäten.
Weiße Gewander und weißgeschminkte Clownsgesichter haben sie fast alle in der zum frühklassischen Musical hochstilisierten "Jagd" - der die adligen Wilddiebe, also die "ganz hohen Tiere", jagende Töffel, der mit weißem Haarschopf und schwarzer Brille an Heino erinnert, oder der den Landbräuten nachstellende Graf von Schmetterling, der sich wie ein Rokokodandy dümmlich spreizt. Auf den Arm genommen werden sie alle, das Werklein von damals, die Macher und Lacher von heute. Auch wenn dabei vielleicht ein bißchen mit der Muppets-Show oder der Augsburger Puppenkiste geliebäugelt wird, das Ganze erweist sich als aufgekratztes, so anzügliches wie vorwitziges Leipziger Opernspielchen ganz eigener, nämlich sehr delikater Art. Wobei Achim Wichert, Hans-Dirk Mundt, Ruth Asmus, Martin Petzold, Romelia Lichtenstein, Andreas Scholz, Adelheid Vogel und Jürgen Müller mit dem komödiantischen Spitzentanz pausenlos ins Schwarze treffen und der Chor die wirklichen, lieben Tiere im wunderbaren Phantasiewald des Leipziger Kellertheaters für zwei heiter-hintersinnige Opernstunden possierlich aufspazieren läßt. Was der dreihundert Jahre alten Oper Leipzig denkbar lebhaften Beifall bescherte.

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NDR 3 / texte & zeichen: 24.Mai 1993 + FRANKFURTER RUNDSCHAU: 26.Mai 1993
DAS DEUTSCHE HEIM ALS HORRORSHOW
Von Georg-Friedrich Kühn

Die vielleicht erstaunlichste Szene - bevor man zum bürgerlichen Sau-Braten mit dem Inkognito-König sich zusammensetzt: Rösie, die nach ihrem Liebhaber fürs Ehebett jagende Emanzen-Unschuld vom Lande, läßt sich eine Schauer-Geschichte erzählen.
Und es klingt schon fast wie im "Freischütz", wo Ännchen Agathe das Gruseln lehrt mit ihrem Traum von der Base und dem losgelassenen Kettenhund. Ein solches Schloßgespenst mit rasselnden Ketten und Vampir-Effekt - wäre das nicht auch was fürs Rösie-Bett? Immerhin bekommt sie ihren etwas stoffeligen Toffel dem Vater zum Trotz.
Erstaunlich auch die Schluß-Auflösung. Der seines Inkognito durch einen auf Weiberfang pirschenden Grafen Schmetterling verlustig gehende König fügt da die Paare. Der hohe Herr und Führer verteilt Geld und Rente für reine Liebe und bewährte Moral - und bestellt sich selbst gleich zum Gevatter ans Bett übers Jahr.
Lortzing, der dieses frühe deutsche Singspiel Christian Felix Weißes und Johann Adam Hillers von anno 1770 sechzig Jahre später für eine eigene Aufführung bearbeitete, hat Elemente: davon dann auch in seinem Leipziger "Wildschütz" wie einen Kehraus aus Mozart bis Weber noch mehr ins Absurde überdreht.
Freilich, auch was man in Leipzig jetzt im Rahmen des 300-Jahr-Opern-Jubiläums dort aus dem Stück macht, ist schon reichlich absurdes Theater. Die Wurzeln dieses deutschen Singspiels von englischer Ballad-Opera à la Gay/Pepusch und französischer Comique werden bloßgelegt.
Text und Dramaturgie wurden gründlich überarbeitet. Deftige Zoten und moralisierend knittelnde Sinnsprüche wechseln unvermittelt.
BRÜHL : »Man kann sagen, daß das schon wieder eine eigene Textvariante ist auf der Grundlage des alten Stückes. Das Original ist eigentlich fast unspielbar. Das hätte vielleicht fünf Stunden gedauert und ist so geschwätzig und so entrückt. Also daraus mußte man erst ein Stück machen.«
Olaf Brühl, der Regisseur. Die Szene (Erwin Heribert Bode) ist ein deutscher Wald, regenreich exotisch wie eine Voliere. Tiere vom Hirsch bis zum Borkenkäfer bevölkern ihn - erst eingesperrt wie im Zoo. Gejagt werden hier alle Arten von Tieren. Neben der zupackenden Rösie und ihrem Toffel gibt's auch noch die etwas transelige Hanne, die in die Fänge des Grafen Schmetterling gerät, aber sich in Treue errettet für ihren etwas abgeschatteten Christel. Dazu dessen und Rösies besorgter Vater, der sich die Liebe nur auf sattem finanziellen Polster gebettet blühend vorstellen kann. Seine Frau legt sich allerdings bereitwillig auch für den Grafen Schmetterling hin, als der pirschend durchs traute Heim schweift.
Musikalisch ist da ein breites Spektrum aufgefächert von deutschem Strophenlied bis hin zu Ensemble-Stücken und post-barockem Seria-Stil für den König. Auch eine zuckende Gewitter-Musik ist eingebaut. Empfindsam im Stile Grauns erzählt Männchen von ihrer Liebesverlassenheit. Des ersten Gewandhauskapellmeister Hiller "Die Jagd" war über Jahrzehnte eines der beliebtesten deutschen Singspiele. Und die Wiederbegegnung jetzt setzt nicht nur historische Lichter auf. Wie als Kasper-Puppen in einer Muppet-Show läßt Brühl diese Figuren tanzen. Die Linie zieht sich bis hin zu den Ufa-Revuen. Das deutsche Heim als Horror-Show - gerade mit diesem Schluß.
BRÜHL : »Und dann war das ja auch so eine obligate bürgerliche Moral. Und der Traum von der Aufklärung von oben, daß der gute Herrscher kommt und alles wieder richtet - dieser Traum hat ja immer noch gezündet und ist ja dann auch in unserem Jahrhundert unheimlich gefährlich dann ausgegoren worden: naja, wenn man dann glaubt, daß eines Tags der große Führer kommt, der das ganze Volk zum Glück führt, und wenn das dann ein ganzes Volk mit so einer Ufa-Glückseligkeit zu glauben und zu träumen gewillt ist, dann kann das ganz gefährliche Konsequenzen haben, wenn ein Volk dem dann auch wirklich nachfolgt.«
MUSIK : aus Schlußensemble »welches Glück - morgen bist Du mein, morgen werd ich Deine(r) sein...«
Gespielt wird das in Leipzig von einem Ad-hoc-Ensemble. Es nennt sich »Les Partisans de la Musique Galante«. Durch die getrennte Aufstellung von Orchester (hinter dem Publikum) und Bühne kommt es unter dem Dirigenten Julien Sadi Salemkour manchmal zu Koordinationsschwierigkeiten. Am überzeugendsten die Frauen: Romelia Lichtenstein als Rösie und Adelheid Vogel als Hanne.
Viel Beifall gab's am Ende für diesen gelungenen Ausflug in die Kinderstube der deutschen Komischen Oper. Kleiner Schönheitsfehler: Die Uraufführung 1770 sah wohl nicht Leipzig sondern Weimar. Dorthin, ans Hoftheater, hatte die Leipzig bespielende Koch'sche Truppe sich geflüchtet. Im bürgerlichen Leipzig hatte man ihre lustgewinnenden Auftrittsmöglichkeiten beschnitten auf Lutherische: zweimal die Woche.

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orpheus / Juli 1993
ENTDECKUNGEN
Von Bernd Hoppe

Vogelgezwitscher stimmt das Publikum ein in Johann Adam Hillers bezaubernde Musik der Vorklassik zu Christian Felix Weisses Lustspiel DIE JAGD. Die Aufführung im Kellertheater der Leipziger Oper in der Inszenierung von OLAF BRÜHL, der neben VALENTIN PASSONI auch an der neuen Textfassung ("Die Jagd oder 'Halt´s Maul'") beteiligt war, kam einer Entdeckung im doppelten Sinne gleich. Hillers reizende Komposition mit ihren entzückenden Arietten und Strophenliedern verdient aufgeführt zu werden, noch dazu wenn sie so lustvoll-frisch musiziert wird wie von den eigens für diese Festwochen-Produktion zusammengestellten Partisans de la Musique Galante unter JULIEN SALEMKOUR. Er gab der Musik straffe Konturen und ließ auch die lyrischen Momente erblühen - eine Freude! Zum anderen dürfte das Opemregie-Debüt von Olaf Brühl, Meisterschüler bei Ruth Berghaus, seine Folgen haben Hier war ein vor Phantasie und Einfällen nur so sprühender junger Künstler am Werk, dessen witzige und teilweise ironisierende Textfassung des Stückes um die jungen Paare Hanne und Christel sowie Rösie und Toffel, die sich am Ende in den Armen liegen, für uns heutige Zuschauer ein vergnüglicher Spaß war, der doch nicht des ernsten Hintergrundes entbehrte.
Die in die Handlung integrierte Jagd des Königs bringt die Tiere im Wald in Aufruhr, und es schwingt viel herbe Kritik am Jagdunwesen mit, wenn Brühl dem lieto fine des Werkes mißtraut und im Schlußgesang, in den die Tiere als Wildbret einstimmen, sie mit einem Jabot auftreten läßt, das ihre blutig zerfetzten Eingeweide zeigt. In ERWIN BODE hatte Brühl einen idealen Ausstatter, dessen phantastisch-exotisches Bühnenbild, eine Art aufklappbares buntes Bilderbuch mit vorbeiziehenden Prospekten zu den Entr'acte-Musiken, sowie wundervolle Tierplastiken und stimmige Kostüme das Auge entzückten. Fast war diese verschwenderische Fülle an optischen Reizen, diese überquellende Phantasie beim einmaligen Sehen nicht zu erfassen.
Die Solisten trugen Brühls Regiekonzept überwiegend mit Engagement und Begeisterung; besonders erfreulich war die Umsetzung der komischen Dialoge mit spaßigem, verfremdetem Ton, wie man es von gestandenen Opernsängern leider nur selten hören kam. Und es gab wunderschöne gesangliche Leistungen, vor allem bei den Damen: ROMELIA LICHTENSTEIN, mit mit reizvollem, dunkel timbriertem Sopran, war eine kesse, im Umgang mit ihrem Toffel handfest-derbe Rösie und singt in ihrer Rage über dessen eifersüchtige Verdächtigungen auch schnell mal eine Arie aus Telemanns Oper "Damon" ("Weg, weg, du Höllenhund !"), Reverenz an den Komponisten zu seinem 300.Geburtstag und eine köstliche Parodie auf die dramatische Opera seria, von Töffel kurz als "höfisches Gegurgel" abgetan. Mit apartem lyrischem Sopran und leichter, flüssiger Koloratur bezauberte ADELHEID VOGEL als Harme. Die Gesangskultur der beiden Sopranistinnen war rundum ein Vergnügen, die umwerfend komische Darstellung derMutter Marthe durch RUTH ASMUS (dazu mit dämonischen Alttönen in der Gespenstererzahlung des 3. Aktes) ein köstliches Kabinettstück. Ihren Sohn Christel singt MARTIN PETZOLD mit etwas kleinstimmigem lyrischem Tenor, dagegen war ANDREAS SCHOLZ als Töffel nicht nur ein äußerst begabter Schauspieler, sondern auch Besitzer eines prachtvollen, sinnlich getönten Baritons. Marthes phlegmatischen Ehemann Michel, immer gewappnet für jedes Wetter, gibt HANS-DIRK MUNDT mit passendem Charaktertanor, ACHIM WICHERT ist der alles zum Guten fugende König. Oder doch nicht? Werden wirklich nur die Tiere gejagt? Da gibt es noch den Graf von Schmetterling (JÜRGEN MÜLLER), ein weiß gepuderter Geck, grell und exaltiert, der Hanne und sonstwem hinterher und im Waldeals vermeintlicher Wilddieb dem Töffel ins Netz gegangen. Der idyllische Traum von einer guten Welt, einem harmonischen Verhältnis mit der Obrigkeit erweist sich als trügerisch, wenn der Graf am Schluß hinter dem Busch steht und mit dem Geldbeutel winkt, für eine schnelle Nummer im Grünen - die Jungen wie die Alten, die Männer wie die Frauen. Deprimiert taucht man danach die Hände ins säubernde Naß, zu spät - das Geld hat doch wieder triumphiert. Die Inszenierung endet absurd.
Großer Beifall für die Solisten und das Regieteam; man darf auf die nächste (hoffentlich gemeinsame) Arbeit von Brühl/Bode gespannt sein.

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DER TAGESSPIEGEL: 29.Mai 1993
UND RÖSIE HARKT DEN PLASTIKRASEN
Von Roman Hinke

Ein schönes deutsches Wäldchen bei Oggersheim. Papageien schwirren durch die Schwüle, Kamele blinzeln über die Palmen, zwei riesige Maikäfermännchen treiben es ständig im Schatten der Fichten. Und Seine Majestät sind auf der Pirsch. Eine Gemse will er schießen, wird statt dessen aber selbst zum Opfer, glaubt Dorfrichter Michel doch einen Wilddieb zu stellen, als er dem erlauchten Hintern eine Ladung Schrot verpaßt. Ärztliche Versorgung tut Not. Im Häuschen des Richters, der seinen Herrn nicht erkennt, wird sachkundig operiert, und der Genesene - endlich enttarnt - fügt nebenbei noch alles zum Guten. Mildtätig und klug seine Weisung: Sohn Christel kriegt Hanne, Tochter Rösie den Toffel. Ganz so, wie sie's immer schon wollten. Und das hübsche Sümmchen aus dem Staatssäckel überzeugt sogar die Eltern.
Ein Märchen von gestern? Im Kellertheater der Leipziger Oper, das genauso aussieht wie es heißt, spielt Zeit keine Rolle. Wenn Olaf Sigurd Brühl sich zum Jubiläum des Hauses an den Singspielhit von 1771, Johann Adam Hillers "Die Jagd", macht, holt sie uns ein, die Posse des 18.Jahrhunderts mit ihrer literarisch halbseidenen Verniedlichung aufklärerischen Gedankenguts, mit ihrer illusionistischen Verzerrung einer brutalen Ständerrealität. Lachen beschwichtigt, dachten die Possenschreiber von damals, dachten vermutlich auch Librettist Christian Felix Weisse und Johann Adam Hiller, als einstiger Gewandhauskapellmeister und Thomaskantor unangefochten eine Leipziger Größe. Lachen deckt auf, denken die Kabarettisten von heute, denkt auch Olaf Sigurd Brühl und inszeniert das Stück als ulkige Satire auf sich selbst.
Damit wir Gegenwärtler merken, was er meint, muß Brühl Hillers "Comische Oper in drey Acten" freilich tüchtig frisieren - eine grundsätzlich zwar bedenkliche, durch den neuen Untertitel aber halbwegs legitimierte, weil offen eingestandene Maßnahme. "Halt´s Maul" heißt das Stück hier, und was könnte besser Brühls Absichten benennen. Seine Dramaturgie straffte er nach bestem Wissen, die Dialoge schrieb er völlig neu, packte sie voll mit blöden Pointen, spitzen Anspielungen und deftigen Zoten und bog sie um in Richtung Nonsenskonversation. Den Gipfel markieren die doofen Knittelverse am Ende jeder Szene. »Der Töffel, der muß Enzian pflücken - nur so läßt Rösie sich beglücken", heißt es da etwa.
Natürlich könnte man Brühl böse sein, daß er aus Hillers harmlosem Lustspiel mit Musik reichlich krachledernen Klamauk macht. Aber letztlich kommt es auf den Grad der Überspitzung an. Hier ist alles derart künstlich und extrem, daß es nur noch ins Groteske zielt: Vom knallgrünen Waldidyll mit Jagdszenen wie aus der Schießbude und den drolligen Tiermasken des Erwin Heribert Bode bis zum absurd manierierten Sprachduktus der Figuren und ihren permanent albernen Überreaktionen, ihren hohlen Gemütsregungen auf Kommando.
Nichts ist ernst an diesem Abend. Man fällt in einen Abgrund aus Jux und ertappt sich schließlich dabei, wie man sich bei jedem Kalauer auf die Schenkel klopft. Wie Brühl es schafft, daß Hillers weit mehr als bloß handwerklich gediegene Musik bei all dem szenischen Gaggewitter nicht auf der Strecke bleibt, ist sein Geheimnis. Oft ist es dem hitzigen Tempo des kleinen Orchesters mit historischen Instrumenten einfach nicht gewachsen, das Dirigent Julien Sadi Salemkour unter dem sprechenden Namen "Les Partisans de la Musique Galante" eigens für diese Festwochenproduktion zur 300-Jahr-Feier zusammengetrommelt hatte. Vielleicht steht Leipzig mit dieser zünftigen Off-Klamotte ja tatsächlich am Anfang einer Hiller-Renaissance.

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WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE: 2.Juni 1993
ADAM HILLER AUF DER JAGD
Von Michael Stenger

Im Kellertheater erinnern die Leipziger an den erster Gewandhauskapellmeister, der spater Thomaskantor wurde: Johann Adam Hillers komische Oper "Die Jagd" (1771), in einer neuen Fassung deftig und ironisch aufgemotzt. Es geht um eine traute Gesellschaft im Walde, die durch blaublutige Schürzenjäger aus ihrem dümmlichen Gleichgewicht gebracht wird. Hillers Musik, von den "Partisanen der galanten Musik" unter Julien Sadi Salemkour auf historischen Instrumenten gemeistert, ist liebenswert wenn auch eher harmlos. Der Regisseur Olaf Sigurd Brühl hat beim Puppenspiel Inspiration gesucht Er laßt kalauern und entwirft ein überdrehtes Spiel. Eine Ehrenrettung? Wohl kaum. Dafür Unterhaltung der kurzweiligen Art.

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Fotos:
Andreas Birkigt
© 1993


olaf brühl