Finale I
Fotos: Thomas Ammerpohl © 1997
Foto:
Thomas Ammerpohl
GÖTTINGER TAGEBLATT, 10.Februar 1997 Übles Gelüste
Doch gar so schön geht es nicht zu in der Welt der rachsüchtigen Königin der
Nacht, des machtbewußten Sarastro, der ein lüsternes Auge auf die zarte Pamina
geworfen hat und sich insofern von seinem dunkelhäutigen Diener Monostatos nicht
unterscheidet. Der freilich kriegt für sein übles Gelüste 77 Sohlenstreiche. Ein
ziemlich böses Märchen... Zwei Priester im 3/4-Takt
Übrigens sieht Brühl Mozarts Oper keineswegs verbissen. Er läßt ausgerechnet
Tamino sich über den ersten Auftritt von Papagena vor Lachen ausschütten und
zwingt ihn unvermittelt zurück in seine edle Schweigerpose. Er läßt die
Priester, die soeben noch so ernst-edle Worte gesprochen haben, mit kleinen
Tanzschritten abtreten. Schließlich hat Mozart hier einen Dreivierteltakt
vorgeschrieben...
EIN BÖSES MÄRCHEN
Von Michael Schäfer
Wie denn - Tamino nimmt seine Pamina nicht in die Arme? Kein
mildlächelnder Sarastro, der die Liebenden zusammenführt? Was fällt diesen
modernen Opernregisseuren bloß ein?
Olaf Brühl, der Mozarts "Zauberflöte" in
Braunschweig inszeniert hat, mußte sich denn auch etliche Buhrufe gefallen
lassen, als er sich bei der Premiere am Sonnabend zum ansonsten freundlichen
Schlußapplaus auf die Bühne begab. Was er begangen hatte: Er hatte das Textbuch
ernster genommen als die Aufführungstradition dieser Oper, in die man gern die
Kinder mitnimmt, weil's halt ein Märchen ist. Ein schönes Märchen.
Und wie steht es ansonsten mit der Liebe? Da gibt
es im zweiten Aufzug fast ausschließlich monologisierende Personen. Ein
menschliches Miteinander ist nur dem Buffopaar gestattet: Papageno und Papagena
turteln nach Herzenslust. Pamina und Tamino dagegen schweigen sich an, werden
recht stumm durch ihre Prüfungen geführt - und wenn sie zum Liebesduett anheben
könnten, werden sie vom laut dreinsingenden Sarastro gehindert.
Der Lohn für
Taminos Prüfungen, das macht Olaf Brühl in seinem nur auf den ersten Blick
befremdlichen Schlußbild klar, ist in erster Linie Macht: Tamino stellt sich mit
Herrscherpose an die Rampe, er löst Sarastro ab. Letzterer, nun Priester i. R.,
hat sich im Hintergrund ein Weilchen niedergelegt. Und die brave Pamina widmet
sich erst einmal ihrer von Sarastros Leuten soeben erstochenen Mutter.
Reiner
Wiesemes hat zu dieser sehr texttreuen, kompromißlosen Deutung eine abstrakte
Bühnenlandschaft gebaut, die Innensicht eines geborstenen Globus, bisweilen mit
Himmelskartenprojektionen dem Reich der "sternenflammenden Königin" zugeordnet.
Störend nehmen sich in dieser Welt einzig reale Requisiten aus: Bühnenschwerter,
-dolche und -lanzen wirken hier merkwürdig naiv.
Das Braunschweiger Sängerensemble widmet sich seinen
Aufgaben mit großer Sorgfalt. Jörg Dürmüller ist ein sehr hell timbrierter,
stimmlich etwas unflexibler Tamino, Dorothee Tsalos eine zarte, anrührend
gestaltende Pamina. Ann Liebeck als Königin der Nacht hat Mühe mit den
Spitzentönen, dem Baß von Martin Blasius fehlt es zum Sarastro noch ein bißchen
an Schwärze.
Dafür nimmt Peter Bording als Papageno die Herzen der Zuschauer
im Sturm - sowohl mit seinem angenehm unklamaukigen Spiel als auch mit seinem
warmen, schönen Stimmklang. Jari Hämäläinen am Dirigentenpult führt Orchester
und Sänger mit viel Schwung und Feuer.
Diese bemerkenswerte Interpretation
ist ein wenig sperrig, nicht leicht eingängig. Sie wird es möglicherweise im
Spielplan nicht leicht haben. Aber die Auseinandersetzung lohnt sich.
Feuer- und Wasserprobe
Foto: Thomas Ammerpohl
orpheus / Mai 1997
Ganz am Ende gelingt Regisseur OLAF BRÜHL in seiner ZAUBERFLÖTE eine dichte Bildlösung: Wenn die Prüflinge Pamina und Tamino durch eine Menschengruppe schreiten, fallen einige Personen um und werden von den beiden in die Spalten der von REINER WIESEMES gebauten, im Halbrund ansteigenden Wüsten- oder Mondlandschaft gestoßen. Sarastro übergibt seine Macht an Tamino, weil dieser im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehende Typ nun paßt. Absolvierte Anpassungsrituale an eine Gesellschaft, die nicht hinterfragt werden darf, sichern deren Kontinuität. ( ... )
GEMISCHTE EINDRÜCKE
Von Joachim Lange
Papageno ruft vergebens
Foto: Thomas Ammerpohl
BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG / Feuilleton, 10.Februar
1997 Öd und leer ist diese Welt
Und auf einem anderen Stern scheint ja diese "Zauberflöte" zu spielen. Nacht
und Nebel hüllen die unsichtbare Schlangentötung durch die drei famosen Damen
(Brigitte Wohlfahrt, Michelle Breedt, Shauna Elin) ein. Und erst allmählich
schält sich daraus so etwas wie Landschaft hervor. Doch die ist so öd und leer
wie die Welt am ersten Schöpfungstag. Wie zu einer parabolformigen roten
Mars-Arena geformt liegen da im Bild von Reiner Wiesemes flache Felsschollen,
die sich (Auftritt Königin der Nacht) auch zu einem feurigen Schlund öffnen
können. Ein Bild, einfach, doch wirkungsvoll, das sich vielschichtig verändern
läßt und in der phantasievollen Lichtführung (Wolfgang Will) teils
bizarr-phantastische, teils auch mystische Dimensionen erhält, wenn Felsen und
Menschen optisch eine alte astrologische Sternenkarte umgibt.
Überflüssige "Buh"-Rufe
Ob sich Im Schlußbeifall die "Buh"-Rufe nun gegen das Bild oder die Regie
richteten, bleibt offen, weil sich Bühnen- und Kostümbildner Wiesemes im
Gegensalz zu Regisseur Olaf Brühl nicht zeigte. "Buh"-Rufe, die so überflüssig
wie ein Kropf waren, denn insgesamt wußte Brühl diese "Zauberflöte" interessant,
kurzweilig und doch nicht oberflächlich zu erzählen. logo - Rundfunksendung
NDR 4, 10.Februar 1997
Olaf Brühl: Natürlich erwarten die Menschen am Schluß ein
freudiges Tableau, festliche Stimmung. Das war für mich einfach 1997 nicht
inszenierbar, weil diese Zukunftsutopie, die Mozart dort vielleicht - allerdings
auch sehr abrupt ! (Der Jubel dort geht über Leichen: Pamina muß über die ihrer Mutter steigen) - auftreten läßt, die kann ich jetzt 200 Jahre später nur noch
sehr schwer nachvollziehen - also die Vision schon, aber was ist jetzt 200 Jahre
lang aus der Zauberflöte geworden? - und mit all diesen Gedanken und Idealen? -
und am Ende dieses Jahrtausends, was da in unserer Gesellschaft jetzt geschieht,
läßt nicht sehr viel Hoffnungsfreude zu. Das alles muß sich für mich in einer
Aufführung spiegeln. Wenn sie nicht einfach nur ein kitschiger Wunschtraum sein
soll, sondern den Menschen sagen soll, was sie betrifft.
Sprecherin: Die Inszenierung des 40jährigen Gothaers ist
aber nicht vordergründig politisierend. Die Gesellschaftskritik macht sich nur
sehr subtil bemerkbar, zum Beispiel in der Interpretation der Rolle der Königin.
Olaf Brühl: Die Königin ist für mich ja auch nicht jetzt
einfach die negative, hysterische Ziege, als die sie meistens dargestellt wird.
Also ich habe versucht zu zeigen, daß sie um ihr Menschsein kämpft, daß sie
keine Chance hat gegen den Rationalismus der Herren. Und dieses
Herrenmenschentum wird sie dann am Schluß ja wirklich "zernichten" - und das
sieht sie voraus. Wenn die Königin den Sonnenkreis zurückhaben möchte, weiß man
ja nicht, was sie damit tun würde. Vielleicht möchte sie ihn nur wieder ruhig
stellen. Aber was die Männer mit dem Sonnenkreis tun, das weiß man spätestens
seit Hiroshima.
Sprecherin: Für Brühl ist die Zauberflöte keine Märchenoper.
Zwar benutzt sie, wie jedes gute Theaterstück, phantasievolle Elemente, aber
wichtiger sind dem Regisseur die menschlichen, gesellschaftlichen und
politischen Fragen, die Mozart und sein Librettist Schikaneder, in dem Stück
behandelt haben. Olaf Brühl war jahrelang Meisterschüler der Choreographin und
Regisseurin Ruth Berghaus.
Olaf Brühl: Natürlich hat dann die Berghaus einen noch
weiter geschärft in der Richtung. Also darauf zu achten, daß man die Konflikte
herausarbeitet zwischen den Figuren - und ich finde, dann wird eine Aufführung
einfach auch ein bißchen spannender, als wenn das alles so ein Einheitsbrei ist.
Sprecherin: Das ist die Braunschweiger Aufführung wirklich nicht. -
Peter Bording:
Wir haben versucht, da etwas vom Naturmenschen - nicht so ein lustiger Naturbursch, wie das halt so üblich ist - aber von allem etwas mitzugeben: Tarzan, Indianer, Aboriginal. Und diese Weisheit von Papageno, bin ich überzeugt, ist in einem Stein, ist in den Bergen, ist in den Büschen, in den Blumen - da ist seine Weisheit.
WAHRHEITSSUCHE AUF EINEM ANDEREN STERN
Von Rolf Heckelsbruch
Wie viele kluge Denker haben Mozarts
und Schikaneders "Zauberflöte" zu ergründen versucht? Wie viele Deuter haben
sich ans Werk gemacht, die Oper inszenatorisch zu entschlüsseln? Als heiteres
Volksstück, als symbolbefrachtete Weisheitslehre, als Kampf von Nacht und Licht,
von Gut und Böse. Begegnung von kreaturlichem Leben und hochgesinntem Edelmut.
Das Rätsel bleibt, weil alle diese Attribute in ihr versammelt sind, so wie
Mozart das wunderbar Einfache mit dem dramatisch Hochvirtuosen, die schlichte
Harmonie mit der "gelahrten" Fugentechnik verbunden hat.
Und auch das
vermeintlich Gute (Sarastros Begierde auf Pamina ist unübersehbar) und das Böse
(Königin der Nacht) lassen hier sich nicht fein säuberlich trennen. Denn wenn am
Ende, wie jetzt in Braunschweigs Neuinszenierung der "Zauberflöte" durch Olaf
Brühl, die "sternflammende Königin" und ihr lanzenbewehrtes Amazonen-Fähnlein
von der Priestergarde niedergemacht worden sind, beugt sich in dem die "Strahlen
der Sonne" begrüßenden Jubelchor doch wenigstens Pamina trauernd über ihre tote
Mutter. Und während von oben Sarastro - der hünenhafte Martin Blasius gibt ihn
mit in sich ruhender Würde und einer auch in den tiefsten Lagen noch kraftvollen
Stimme - in einer Pose wie Michelangelos Gottvater auf die weihevolle Szene
schaut, sitzt vorn auf einem Schemel, nun im grauen Frack der "Eingeweihten",
der jugendliche Held Tamino. Desillusioniert? Zumindest doch so teilnahmslos,
als gingen ihn der Geliebten Trauer und der Priester Jubel nichts mehr an. Fast
wie ein Mensch von einem anderen Stern.
Papagenos pfiffige
Lebenslust, Taminos hochgestimmter Idealismus und das priesterliche Pathos der
Weisheitslehrer hielten einander die Balance. Es gab ein paar Ungereimtheiten.
Wenn Tamino links aus der schwartigen Schlangenhöhle wankt (rückwärts, Achtung:
Stolpergefahr), später über das unsichtbare tote Monster rechts ortet, leuchtet
das nicht ein. Es gab einige Steifheiten (Tamino, Pamina) in der Personenregie.
Aber doch viel mehr Witz, vor allem auch durch das natürlich lebendige Spiel von
Peter Bording, ein gutgebauter Bilderbuch-Papageno, mit einer herrlich runden,
vollen Slimme. Und auch an Poesie mangelte es dieser Inszenierung nicht.
Beispielswelse die Szene der tanzenden Tiere (hübsch wischt sich das Krokodil
seine Tränen) oder das Bankett der Eingeweihten auf schiefer Ebene und vor allem
die fackelleuchtende Prüfungsszene. Das überzeugte. ( ... )
3 Knaben retten Pamina
Foto: Thomas Ammerpohl
Sprecherin: Das
Braunschweiger Publikum stutzte bei der letzten Szene. Da wird die Königin der
Nacht von den Männern Sarastros, des Herrschers des Sonnenreichs, umgebracht.
Das Liebespaar Tamino und Pamina sieht sich noch nicht einmal an. Die Stimmung
ist etwas bedrückend. Untypisch für eine Inszenierung der Zauberflöte. Der
Regisseur Olaf Brühl hat die Szene bewußt anders gestaltet.
Der Niederländer Peter Bording singt den Papageno. Er spielt ihn sehr intensiv und körperbetont. Mit einem Lendenschurz bekleidet, wirkt er sehr sexy.
Finale II
Foto: Thomas Ammerpohl