foto: olaf brühl © 1999
u-bahnhof berlin alexanderplatz


WERWOLF / 1999
von rainer werner fassbinder & harry baer (1969)

Erste Produktion seit der Uraufführungsvorstellung

Fassung/Regie/Bühne/Licht: Olaf Brühl

Film: Susu Grunenberg, Berlin
Musik: Rockelectronic, Gamelan-Musik, Pogo, Marenge,
Händel (DIXIT DOMINUS; ANTHEM: My heart is inditing),
Morton Feldman (TRIO)

mit: Sascha Berger, Anna-Maria Sommer
Arne Vogelgesang, Paul Matzke
u.v.a.


ob.


Auswahl Kritiken:
Cristina Nord, Hamburg
fa, JUNGE WELT
Ingrid Beerbaum, NEUES DEUTSCHLAND



HINNERK: Hamburg, Mai 1999 (BRIEF AUS BERLIN) / SIEGESSÄULE: Berlin, Mai 1999
STRENGER RAUSCH DES MÖRDERS
Von Cristina Nord

( ... ) Und so streng wie der Bühnenraum, so streng ist die gesamte Inszenierung geraten.
Und daher auch der an die griechische Tragödie erinnernde Rhythmus, den Brühl seiner Inszenierung verleiht. Denn anders als in der Strenge von Ritual, Wiederholung, Chor, anders als in der Absage an jede psychologisierende Tendenz ließe sich die Grausamkeit des Stoffs wohl kaum auf die Bühne bringen.

So kann Brühl in kurzen, elliptischen Szenen den Werdegang seiner Hauptfigur skizzieren, kann die Dumpfheit der anderen zeigen, kann den Rausch, die Extase im Augenblick des Tötens bebildern. Eine Extase, die für den Täter wie für das Opfer gleichermaßen behauptet wird. Der erste Mord, begangen an einem jungen Knecht, beginnt wie eine Liebesszene. Während Franz sein Opfer würgt und sich an Machtphantasien weidet, schreit dieses noch "Ja, ja, ja". Dabei sind die anderen, die Mägde, Knechte, Bauern und Soldaten, nicht besser als der einzelne Gewalttäter - mit dem Unterschied, daß ihre Form der Gewaltausübung sanktioniert ist. Am Ende jedenfalls stehen die scheinbar Unbescholtenen mit von fremdem Blut triefenden Mündern da, ist die Gewalt des Einzelnen fast vergessen.

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foto: maria steinfeldt © 1999

JUNGE WELT: 17.Mai 1999
SEX, DOPPELMORAL UND KRIEG
WERWOLF von Harry Baer und Rainer Werner Fassbinder
am tik in einer Inszenierung Olaf Brühls

FASSBINDER und BAER schrieben WERWOLF gemeinsam. Erst während der Proben wurde die Kombination der Texte beschlossen, jede neue Interpretation muß eine eigne Lösung suchen. Die letzte antiteater-Produktion kam im Dezember 1969 in Berlin heraus, fiel total durch, eine weitere Vorstellung fand nicht statt. 30 Jahre lang hat niemand WERWOLF aufgeführt. Die Zeit von 1969, in der FASSBINDER mit seiner Truppe vier Filme und mehrere Theaterstücke schrieb und realisierte, war eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche: Revolten brachten Fragen der Gewalt und der Liebe zu öffentlichem Diskurs. Der Vietnam-Krieg, die Vergangenheit der Wohlstandsgesellschaft und ihr Terrorismus wurden Themen. Da gab es den Skandal um den Knabenmörder JÜRGEN BARTSCH, den Ruf nach der Todesstrafe in der BRD - auch für Terroristen. Zu brisant ? - Junge Leute finden nun das Textmaterial 1999 aktuell und entdecken Parallelen. Zu unserem Heute, unserem Alltag. Der ist voll Konformismus, voll unterdrückter und voll akzeptierter Gewalt - im Zusammenleben und - jetzt wieder - im Krieg, der immer näher kommt. Der Boden unserer Zivilisation ist dünn.
Das Stück basiert auf einem makabren Stoff aus dem Krieg im 16.Jh. und kreist mit seinen fast ritualhaften Szenen, Kirchen-Chorälen, Berichten, sowie kurzen und präzisen Dialogen, die das intolerante Klima, die allesdominierenden Machtspiele einer deutschen Gemeinde zeigen, um eins der abgründigsten Themen FASSBINDERS: die Verschlingung von Erotik und Tod in unserer insgesamt mörderischen Gesellschaft, die wohl selber der "Werwolf" ist.


foto: maria steinfeldt © 1999

Der rebellische Außenseiter (mit dem Namen Franz Wals, FASSBINDERS Identifikations-Name, Pseudonym und Erinnerung an Franz Biberkopf), der die Verlogenheit und Gewalt dieser Gesellschaft zwar durchschaut, jedoch keine andere Erlösung aus Enge und Fremdheit zu finden vermag:


foto: maria steinfeldt © 1999

»Die ersten Morde beging er wohl aus Verzweiflung, weil die Köpfe, in die er hineinredete, ihn nicht hörten, und eine Wand war zwischen ihm und den anderen, die hat er zerschlagen. Es waren die Köpfe, in die er ein Loch hineinschlug, um ein Verhältnis zu haben mit einem anderen Menschen.«


foto: maria steinfeldt © 1999

- Sätze, deren messerscharfe Kraft zwischen Emotion und Kritik auf FASSBINDERS Filme, aber auch das Werk BÜCHNERS oder BRECHTS verweisen. Schon THOMAS BRASCH hatte eingeklagt, daß FASSBINDERS offen strukturiertes Theatermodell in der Gegenwartsdramatik unerledigt sei. Interessant, daß grade heute, inmitten von Berlins Boulevard-Theater- und Hollywoods Film- und Fernseh-Ästhetik eine Gruppe von 25 (1969 waren es 5) sowohl sehr jungen als auch älteren Spielern sich mit erstaunlichem Ernst der existentiellen und ästhetischen Fragestellung dieses Materials stellen. OLAF BRÜHL hat WERWOLF wiederentdeckt und für das TiK in Berlin mit formal strengem Anspruch inszeniert. Choreografisch gebaut, ja komponiert ist der Ablauf von fast kultischen Chor-Passagen zu harten, traumhaften oder witzigen Situationen; den Texten vertrauend, sie mit Geräuschen und Musik von Techno bis HÄNDEL konternd oder extatisch steigernd, - überhaupt ist der theatralische Rhythmus von hoher Musikalität: Momentaufnahmen reihen sich, werden in verschiedenen Konstellationen wiederholt, das Geschehen ist zersplittert.

Wenn ein Gesprächsfetzen zweier Frontsoldaten sich wiederholt und diese in Zeitlupe sich aberwitzig verdrehen, zwischen ihren Sätzen zu Leichen erstarren, kippt die Dynamik des Spiels um, wird bedrückend nah, läßt in den Gruppenszenen nicht mehr los. Das letzte Bild: blutverschmiert verbleiben die Figuren in besinnungsloser Normalität, durch die Wände zu einem imaginären Jenseits drücken sich Hände und Gesichter wie von Gefangenen. Zuvor schon treiben Sehnsüchte die Figuren durch die Wände des kargen Raums, bleibt den Tätern ein Gestus tastender Verlorenheit. - Aus dem Puzzle entsteht ein Panorama. Die sprechendsten Momente scheinen mir so die Zwischenräume, die Pausen zwischen den Szenen, die eigenes Mitdenken fordern, das Verdrängte zu imaginieren, die Geschichte mit Eigenem zu füllen, eigenen Erfahrungen, Träumen und Bildern und sei es auch nur, den Zusammenhang zu suchen: dies das Bedeutende an solcher Dramaturgie, die unsere Phantasie nicht mit Vorgefertigtem zukleistert, den Kopf mit Antworten füllt, sondern Fragen provoziert und Emotionen. Genau das hat die Regie mit dem Spiel der mehr als zwanzig Mitwirkenden erreicht. Auch die Kostüme von SABINE NOACK haben diese "kritische Zärtlichkeit": wirken transparent, zeigen die Körper der Sprechenden, bleiben dabei im Heute wie die Videosequenzen von SUSU GRUNENBERG, die den historischen Bericht zu uns hin öffnen. Die Entdeckung hat sich gelohnt. (fa)

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foto: maria steinfeldt © 1999

NEUES DEUTSCHLAND: Berlin, 11. April 1999
LIEBLING HANS, DER WERWOLF
tik im Friedrichshain hat ein frühes Baer-Fassbinder-Stück ausgegraben
Von Ingrid Beerbaum


Die weiße Bühne in Schwarzlicht getaucht in der Mitte ein schwarzes perspektivisch verschobenes Fünfeck. Dort gruppiert sind mehrere Frauen und ein in ein Laken gewickelter Mann. Aus einer weißen Tücherwand schauen Köpfe. Das ist die Masse. Die Frauen beginnen ein Lied zu singen von Leid, Schmerz und Gott. Sie wickeln den Mann langsam vollständig ein. Der Mann spricht von Blut Das Laken wird zum Leichentuch. Sie heben ihn auf und tragen ihn hinaus. Das ist die erste Szene von »Werwolf« eines der frühen Stücke von Harry Baer und Rainer Werner Fassender, ausgegraben vom tik (Theater im Kino), inszeniert von Olaf Brühl. Uraufführung hatte »Werwolf« 1969 in Berlin. Es rief Aufruhr hervor und wurde danach nie wieder gespielt Schuld war damals der Skandal um den Knabenmörder Jürgen Bartsch, der die bundesrepublikanischen Gemüter erhitzte. Dem Stück zugrunde liegt jedoch eine Geschichte aus dem 16.Jahrhundert über einen Massenmörder der über 80 Menschen umbrachte.


foto: maria steinfeldt © 1999

Das Stück ist eine Folge von Szenen, die teilweise in wechselnder Besetzung wiederholt werden, keine Rekonstrukion der Ereignisse. Das ist mal komisch, mal kaum erträglich. Keiner ist nur Opfer oder Täter. Die Menschen reden vom Töten im Krieg vom Schlachten, als wäre das normal. Sie tun ihre Pflicht als Soldaten oder Schlachter. Hans, der Massenmörder schlachtet ebenfalls nur nicht von der Gesellschaft sanktioniert. Er tötet, was er begehrt. Er schlägt den Opfern den Schädel ein und trinkt ihr Hirn »um ein Verhältnis zu haben mit einem anderen Menschen« Sex und Gewalt sind hier nah beieinander. Gewaltphantasien werden von einem Erzähler ausgesprochen und erinnern, daß das Gesehene nicht so weit hergeholt ist. Hier wird ein zur Unauffälligkeit erzogener Junge, ein Liebling aller, zur Bestie. Plötzlich ist Hans ein Mörder, der nicht gewillt ist, sich Normen zu unterwerfen, und einer, der seine finsteren Phantasien in die Tat umsetzt. Er ist ein Monster. Er muß verurteilt und ausgestoßen werden. Hans aber sieht sich als Gott. Er hat das Blut eines Wolfs getrunken und das Hirn von Menschen. Deshalb ist er ein Werwolf meint er. Das ist seine Art der Kommunikation mit der Außenwelt. Die Tötungsszenen sind beinahe lasziv inszeniert. Das verunsichert gewaltig. Und dann die fürchterliche Nähe zu den Nachrichten. Irgendwann wünscht man sich, es soll nur noch aufhören, weil es so bedrückend nahegeht. Der Mörder wird abgeurteilt. Die Meute singt ein Kirchenlied und macht sich über den Werwolf her. Blutverschmierte Münder bleiben am Schluß. Die Ausgrabung des tik hat sich gelohnt.


foto: maria steinfeldt © 1999

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günhan, foto: olaf brühl © 01/1999
berlin, wittenbergplatz mit KaDeWe
publiziert in:
FREITAG nr. 14, 02.04. 1999

stücklesung 2005