GUTE GESELLSCHAFT, MENETEKEL &
DIE DESTRUKTIVITÄT DES KRIEGES

G. F. Händels BELSHAZZAR
in der Berliner Philharmonie

von
Olaf Brühl



Uns erscheint der Misserfolg der Uraufführung völlig unbegreiflich. Das Drei-Stunden-Werk ist ja eins der beeindruckendsten Chorstücke zwischen Antike und Gerhard Hauptmann. Doch es passt. Die Zeichen an der Wand sieht man nicht gerne. Das war auch in Händels Wahlheimat so: 1744/45 – keine gute Zeit für den Sachsen in London. Der Adel hatte ihn pikiert fallen lassen. Man ließ nachts die Plakate abreißen. Die Damen luden zum Tee, wenn des unverheirateten Riesen BELSHAZZAR lief. Eine werdende Kolonialmacht will unterhalten werden, und kein schockierendes Menetekel über hybride Machenschaften an die Wände gesprüht kriegen. Die gute Gesellschaft hat da stets einen feinen Geschmack bewiesen. Man boykottierte Händels Aufführungen und versuchte, sein Unternehmen zu ruinieren.

Das Völkerdrama BELSHAZZAR setzt abrupt an, solche Anfänge liebte Händel: ganz wie Shakespeare, in medias res. Mit einem Monolog über den Teufelskreis von Herrschaft. Minutiös wird beschrieben, wie es für jede gefräßige Macht, wenn sie sich erst etabliert hat, nur eine Frage der Zeit bleibt, bis die nächste sie auswechselt. Finden wir das irgendwie überholt? Es ist eine Mutter, die das singt und zwar die des Tyrannen. Das Heer der Perser hat indessen Belsazars Aggression zurückgeschlagen und steht vor der Hauptstadt Babylon. Für viele Menschen zarte Hoffnung. Cyrus, der persische Truppenführer, will den babylonischen Terror beenden, der das eigene Volk und die Fremden – die gefangenen Juden – quält: »Destructive War, thy limits know, here, tyrant Death, thy terrors end.« Auch wenn dazu Clarin-Trompeten schmettern: so entsetzlich heutig kann ein spätbarockes Musikdrama sein.

Der Euphrat fließt nicht mehr durch Babylon, sondern durch das nahe Bagdad. Ob man Belsazar nun transparent auf King George II. sehen will — wie Händels Librettist, der Stuart-Anhänger Charles Jennens seinen Text meinte, aber wohl kaum der ahnungslos in dies Fettnäpfchen tappende Komponist (hungrig auf grandiose Stoffe), ob man die politische Bezüglichkeit des Stückes anders konkretisiert oder es schlicht als biblische Geschichte nimmt: die Wucht, mit der ganz elementar und nuancenreich die Charaktere und Konflikte von immerhin drei kontrastierenden Völkern in Händels Chorblöcken und Soloszenen entfaltet sind – das ist von unverblasster Strahlkraft. – Man meint den Meister noch zu hören, wenn er fordernd »Chorus!« brüllte.

Der RIAS-Kammerchor (Einstudierung: Daniel Reuss) hätte solchen Rufes nicht bedurft: der singt sowieso wie von selbst und es hieße Linden nach Spree-Athen tragen, wollte man auf die stupende Leichtigkeit, Kraft und Transparenz dieser beglückenden SängerInnenschar verweisen, die mühelos, sozusagen in Dreifach-Rolle, der Völker Fronten wechselte. Ergreifend der Chor im II.Akt »Recall, o king!«, in dem die verhöhnten Juden Belsazar a capella anflehen, seinen Frevel zurückzunehmen. – Nicholas Kraemer, Spezialist für Barockmusik, dirigierte vom Cembalo aus und zwar die Berliner Philharmoniker. Diese brillierten schon vor zwei Jahren mit Händels JEPHTHA als überraschend versiert in den neuen alten Musizierweisen. Hoffentlich bleibt das Orchester den Großwerken dieses Komponisten weiterhin treu. Kraemer suchte erfolgreich weniger sinfonische Klänge, als mehr Lyrik und kostbare Geschmeidigkeit. Vielleicht fehlte dem Abend (26. & 27.5.) bei aller Vollkommenheit doch etwas an visionärer Energie (am 28.5. steigerte sich die Intensität dermaßen, daß diese - ohnehin vorsichtige - Frage hinfällig wurde). Vielleicht waren manch Tempi etwas zu genüsslich auskostend und zumal in den Rezitativen hätte etwas mehr Drama nicht geschadet (im 1.Teil des I.Akt, obwohl die Spannung durchweg bannte); im II.Teil schien mir die Aufführung am 28.5. - natürlicherweise - noch an rythmischer Akzentuierung und Freiheit des Gestus gewonnen zu haben (die charakterisierende Vitalität und Schlagkraft der Chöre!). Doch dafür stand Kraemer auch ein idiomatisches Solistenensemble zur Verfügung, das durchweg makellos und höchst kultiviert sang.

John Mark Ainsley in der Titelpartie - das garantiert Intelligenz und Schönheit der Interpretation. Er bewies wiederum seinen Rang als einer der Händel-Tenöre unserer Tage. Der äußerst schwierigen Despotenrolle zwischen Wollust und Brutalität blieb er weder Arroganz noch sinnliche Unbekümmertheit schuldig. Der Moment, da die Schrift an der Wand erscheint, war vor allem am 28. von großer Imaginationskraft. Selbst in seinem Abgang wahrte er die Haltung eines Uneinsichtigen. Einschränkung ein Kompliment: ein doch ziemlich sympathischer Tyrann. – Seine Mutter Nicotris gestaltete Susan Gritton mit funkelnd-mächtigem Sopran äußerst berührend. Ihr gelang ein Porträt dieser großartigen Frauengestalt von ergreifendem Format, tragisch gestellt zwischen alle Parteien, zumal in dem packenden Konfrontations-Duett mit ihrem Sohn im II.Akt. u.a. einer ebenso kostbar wie ausdrucksvoll interpretierten Zerrissenheits-Szene zu Anfang des III.Aktes (Violoncello: Georg Faust).

Allein zwei von den wichtigsten Männern, die sich in BELSHAZZAR humaner bewegen, sind in Altlage komponiert. Gern perforierte Händel Geschlechterklischees und ganz besonders das männliche. Finden wir das irgendwie überholt? Den Perserführer Cyrus sang in diesem Sinn schön und mit hinreißend engagierter Präsenz Susan Bickley: aufblühend vor allem im Duett mit Nicotris. Am 28.5. steigerte sich ihre energievolle Stimme mit triumphalem Ablomb. - Der Altus, faszinierend: Robin Blaze als jüdischer Prophet Daniel, hatte das Menetekel an der Wand zu deuten und erfüllte Zartheit und Wärme der sanften Figur. Er durfte – mit sichtlicher Emphase ! – eine der betörendsten Melodien Händels (die dieser aus einem frühen Violinkonzert implantierte) für das Final-Anthem anstimmen. – Auch der Militär Grobias, James Rutherford, hatte an Cyrus´ Seite nicht Kommandos zu donnern, sondern verströmte mit seinem ausdrucksvollen Bass eher Gefühle: Trauer um den gefallenen Sohn und, später, Zuversicht auf eine friedlichere Zukunft. - Davon hätte man gern mehr ...

Weniger unverbindlich wäre eine adäquate, nicht poppig-verharmlosende Inszenierung des Stückes. Man würde sich das wünschen, etwa durch Hans Neuenfels oder Johann Kresnik. Drei von drei Berliner Opernhäusern verschliefen es, rechtzeitig Einar Schleef (gest. 2001) Händel-Oratorien anzuvertrauen. – Aber die gute Gesellschaft möchte unterhalten werden und beweist feinen Geschmack.

© olaf brühl: 5/2004

publizierte Version 29. Mai 2004:

RIAS-Kammerchor Berlin

Händelvortrag


George Frideric Händel, BELSHAZZAR
Sendung des Konzertmitschnitts:
29. Mai 2004, DeutschlandRadio, 19.30 Uhr.